Dienstag, 6. Dezember 2011

Aus gegebenem Anlass: Steinbrück, Steinmeier, Gabriel. Die SPD und die K-Frage.

Der Rauch hat sich gelegt, die sogenannte Castingshow ist vorerst beendet. Das Damoklesschwert der K-Frage war nahezu in jeder Minute des dreitägigen Parteitags in Berlin gegenwärtig. Trotzdem entschied sich die Parteispitze dafür, mehr Fragen offen zu lassen, als zu beantworten. Eine eindeutige Tendenz lässt sich noch nicht erkennen. Nur eines scheint nach Berlin sicher. Die Machtverhältnisse haben sich verschoben und sorgen für noch mehr Unklarheiten. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen dreier Männer ab. Drei Männer einer Partei und doch völlig verschieden.

Es war genau 11:24 am Montagvormittag als Sigmar Gabriel das Rednerpult verlässt. Mit aufgeladener Stimme schwört er seine Partei nochmal auf den Politikwechsel 2013 ein. Die Richtung hat er in den vorangegangenen eineinhalb Stunden vorgegeben. Eine deutlich links orientierte Mitte soll es sein. Seine Rede beeindruckte die Zuhörer. Zum einen durch ihre Pointiertheit, aber auch durch ihr intellektuell überschaubares Niveau, das die Delegierten zu keinem Zeitpunkt überforderte. Er brachte auf den Punkt, was der Parteibasis seit Jahren auf der Seele brennt. Da wurde die Agenda 2010 gegeißelt, der Schulterschluss mit den Gewerkschaften gesucht. Er schimpfte auf entfesselte Märkte und betonte den Wert der Arbeit. Er bezeichnete seine Partei als wahrhaft in der liberalen Tradition verhaftet und zeichnete die Zukunft "Mitte-Links". Gabriel kennt alle Facetten des politischen Geschäfts. Seine auf Klassenkampf zugespitzte Rede sollte die Partei hinter ihm vereinen. Denn in Zeiten sozialer Kälte und entfesseltem Kapitalismus, besinnt sich die Sozialdemokratie gerne auf ihre linken Wurzeln. Gabriel, der geniale Opportunist wusste, was die Stunde geschlagen hatte und startete seine Aufholjagd. Wurden ihm vor dem Parteitag noch die schlechtesten Karten eingeräumt, so liegt er nun gleichauf mit seinen Konkurrenten. Manch ein Beobachter sieht ihn nun sogar als Favoriten.

Der Chef und seine Gefolgsmänner einig auf dem Weg zur Oase sozialdemokratischer Glückseligkeit. Ein rundum gelungenes Wochenende für den Parteichef. Doch einen entscheidenden Punkt scheinen sowohl er, als auch die Delegierten übersehen zu haben. Ihr Kurs führt geradeaus in ein dicht besiedeltes Kampfgebiet, in welchem sie die Schlacht um Wählerstimmen nur verlieren können. Ein Hartz IV-Empfänger beispielsweise, der sich nach dem Maximum sozialer Wärme sehnt, macht sein Kreuz bei der Linken. Das neue linke, umweltbewusste Bürgertum besinnt sich auf das Original und wählt grün. Technikaffine, die sich trotzdem politisch engagieren wollen, gehen zu den Piraten. Das Spektrum links der SPD ist so dicht besiedelt, dass sich die Stimmenfänger auf diesem Terrain gegenseitig auf den Füßen stehen. Wie ratsam wäre es da, seinen Fokus zu verändern und sich auf Wählerschichten außerhalb der SPD zu konzentrieren. Der Grundsatz, Wahlen werden in der Mitte entschieden, besitzt nach wie vor Gültigkeit. Ein Mann der diese Positionen besetzt, in der SPD vermarktbar ist und auch im konservativen Lager Stimmen abfangen kann, wäre der ideale Kandidat für die Sozialdemokraten. Die Ironie an dieser Sache ist, die Partei verfügt über einen Spitzenpolitiker, der genau diese Anziehungskräfte vereint. Er ist aktuell Deutschlands beliebtester Politiker und scheint prädestiniert 2013 gegen Angela Merkel anzutreten.

Und doch ist Peer Steinbrück in der eigenen Partei weder geliebt, noch der Wunschkandidat des Großteils der Delegierten. Deutlich zu spüren war dies bei seiner Rede auf dem Parteitag. Während sich Gabriels Worte an Herz und Seele richteten, appellierte Steinbrück laut eigener Aussage an den Verstand der Partei. Die Reaktionen auf seine Worte waren, euphorisch ausgedrückt, reserviert, knapp über der Höflichkeitsgrenze. Mahnungen, Besserverdienende nicht zu verprellen und den Erfolg der Agenda 2010 deutlich für sich zu beanspruchen, stoßen aktuell auf taube Ohren in der Partei. Steinbrück, dem erfolgversprechendsten Kandidaten der Sozialdemokraten, mangelt es an Rückhalt im eigenen Lager. Als Bremsklotz der linken Neuausrichtung, passt er so gar nicht in das Konzept, welches sich die SPD für die Zukunft selbst verordnet hat. Dabei genießt er in der Bevölkerung einen ungemeinen Zuspruch, obwohl er momentan nur ein einfaches Bundestagsmandat vorzuweisen hat. Insbesondere im finanzpolitischen Bereich wird ihm ein besonderes Maß an Kompetenz zugesprochen. Eine Resort das aktuell so wichtig ist wie nie zuvor. Das kommt an beim Wähler, bei der Basis offensichtlich nicht. Wer mag es den Genossen verdenken, stellt sich ein Mann doch offensichtlich gegen die Traditionen der Partei, auf die man sich wieder besinnen will.

Wahr ist, die konservative Linie Steinbrücks kann auf eine lange Geschichte verweisen und ist keineswegs so parteiuntypisch, wie sie medial, oder von einigen Parteilinken häufig dargestellt wird. Bereits zur Zeit des ersten Weltkriegs gab es mit der "Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe" eine nationalistische Strömung, bestehend aus ehemaligen Linken. In ihrer Tradition entwickelte sich in den 1950er Jahren ein konservativ-traditionell eingestellter Verbund, der sich am rechten Flügel organisierte und eine dominierende Rolle innerhalb der Partei einnahm. In diesem Zusammenhang kann auch auf den sich parallel entwickelnden "Metzger-Kreis" verwiesen werden, der als Vorläufer des heutigen "Seeheimer Kreis" gilt, dem auch Steinbrück nahesteht. Dieser etablierte sich als Reaktion auf die Linkswende der Jusos Anfang der 1970er Jahre und gilt seither als eigenständige Strömung innerhalb der SPD. Trotz einiger prominenter Vertreter wie Helmut Schmidt, hatte der Seeheimer Kreis traditionell einen schweren Stand im Ringen um Positionen mit den Parteilinken.
Es ist folglich kein neuer Kurs den der ehemalige Finanzminister verkörpert, vielmehr vertritt eine traditionelle, konservative Richtung der deutschen Sozialdemokratie, die bereits ehrenwerte Staatsmänner hervorgebracht hat.

Mit Helmut Schmidt ist ein weiterer Name gefallen, welcher für eine Kandidatur Steinbrücks spricht. Die Menschen in Deutschland verknüpfen mit einer konservativen SPD positive Erinnerungen und politische Erfolge. Hieraus speist sich die unglaublich Popularität des Altkanzlers, der sich bereits ausdrücklich für Peer Steinbrück ausgesprochen hat. Es mangelt einem an Fantasie, um sich eine Entwicklung vorzustellen, die den knorrigen Hanseaten tatsächlich in die Rolle des Herausforderers der Union bringen könnte. Einzig weiter steigende Beliebtheitswerte könnten die Sozialdemokraten dazu bewegen, einen wie ihn mitzutragen. Diese Hoffnung wird durch einen weiteren Fakt gestärkt. Sigmar Gabriel, der brillante Rhetoriker, ist schlichtweg zu unbeliebt im Volk, um die Wahl siegreich zu bestreiten. Der oft als Populist verschriene Niedersachse schafft es nicht, seine Austrahlung auch außerhalb der Partei zu entfalten. Alle Anzeichen lassen auf eine Kompromissentscheidung schließen. Diese trägt den Namen Frank-Walter Steinmeier. Er vereint in gewisser Weise beide Parteiströmungen und ist deshalb für beide Seiten annehmbar. Da er jedoch mit dem historischen Absturz der Partei in direktem Zusammenhang steht, wird manchem Genossen sicherlich unwohl bei diesem Gedanken werden.

Ihnen möchte man als Bürger zusammen mit Helmut Schmidt zurufen: "er kann es", und der Partei den nötigen Mut wünschen, sich dem allgegenwärtigen Linksrutsch der deutschen Politik zu widersetzen und mit der Kandidatur Steinbrücks nicht nur politische Klugheit zu beweisen, sondern auch der Meinung des Volkes zu vertrauen.

Montag, 24. Oktober 2011

Aus gegebenem Anlass: Die Linke und das Regieren.

Der Parteitag der Linken. Ein Höhepunkt des politischen Terminkalenders 2011. Geschlossenheit wurde angemahnt, ein neues Programm sollte auf den Weg gebracht werden. Doch 1400 eingereichte Änderungsanträge offenbaren: Die Linke befindet sich auf einem Selbstfindungstrip mit unbestimmtem Ausgang.

In einem Punkt war man sich ganz schnell einig. Drogen, so die einhellige Meinung unter Linken-Mitgliedern, sollten besser heute als morgen legalisiert werden. Mit 211-Ja-Stimmen gegenüber 173-Nein-Stimmen und 29 Enthaltungen wurde ein Meilenstein der Linken-Geschichte besiegelt. Nicht nur weiche, wie im Entwurf des Bundesvorstandes vorgesehen, nein, die Basis will nun auch den Konsum harter Drogen wie Kokain und Heroin Schritt für Schritt zulassen. Ein Meilenstein linker Demokratiegeschichte wurde geschrieben. Dieser Vorgang, von der Partei als „rationale und humane Drogenpolitik“ bezeichnet, offenbart das Bild einer Partei, die sich als regierungsunfähig erweist.

Beispiele für diesen schlichten Unwillen zur Gestaltung gibt es einige. Doch während man die Forderungen der Partei vor einigen Jahren noch als Produkt eines eigenartigen Sammelsuriums von Spinnern aus dem Westen und Pragmatikern aus dem Osten betrachtete, nehmen diese in jüngster Zeit immer groteskere Züge an. Da wäre beispielsweise der Austritt Deutschlands aus der NATO zu nennen, der eine breite Schar an Befürwortern innerhalb der Partei hinter sich versammeln kann. Ein damit zusammenhängender Diskussionspunkt ist das Thema Bundeswehr und ihre Auslandseinsätze. Man mag der Partei zugutehalten in diesem Punkt seit Jahren eindeutige Positionen zu vertreten. Doch wenn diese strikte Haltung den ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine dazu nötigt, beruhigend auf seine Genossinnen und Genossen einzureden und ihnen zu versichern, dass der zur Abstimmung vorliegende Antrag keine Schlupflöcher wie Blauhelmeinsätze in bestimmten Krisenregionen zulässt, ist die Frage legitim, ob man ihnen die Verantwortung für ein ganzes Land in die Hände geben möchte. Denn wie will eine Partei Deutschland regieren deren oberstes Ziel es ist, sich international zu isolieren. Deutschland braucht seine Partner und unsere Partner brauchen Deutschland.

Ginge es nach den Linken wäre die Bundeswehr aus Afghanistan längst abgezogen und zukünftig gäbe es keine Auslandseinsätze mehr. Es klingt fast wie Hohn wenn der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion im Bundestag Dietmar Bartsch fragt, was der Einsatz denn eigentlich bewirkt hat? Sicherlich verläuft der inzwischen seit 10 Jahren andauernde Krieg nicht durchgängig erfolgreich. Er ist für die Bundesrepublik Deutschland zudem gekennzeichnet von schmerzhaften Verlusten. Doch hätte die Weltgemeinschaft nach den Anschlägen vom 11. September ruhig gehalten, die Strukturen innerhalb des Landes wären unverändert. Es würde immer noch das Talibanregime dort herrschen. Es könnte immer noch die al-Qaida ungehindert weitere Anschläge auf die westliche Welt planen. Es würden immer noch Frauen und religiöse Minderheit unterdrückt. Es wäre jungen Mädchen immer noch nicht erlaubt Schulen zu besuchen. Der Einsatz hat ein Zurückfallen des Landes in steinzeitliche Strukturen verhindert und Grundsteine gelegt, auf denen die Bevölkerung nach einem geordneten Abzug aufbauen kann.

Erfurt brachte – wie zu erwarten war - keine Veränderung. Zu festgefahren ist die Partei in alten Schemen und ideologischen Grabenkämpfen. Doch will sie den Abwärtstrend der letzten Wahlen stoppen und ihr anvisiertes Ziel, die Etablierung in westlichen Landtagen, voranbringen, muss sie endlich in der Realpolitik ankommen.