Der Rauch hat sich gelegt, die sogenannte Castingshow ist vorerst
beendet. Das Damoklesschwert der K-Frage war nahezu in jeder Minute des
dreitägigen Parteitags in Berlin gegenwärtig. Trotzdem entschied sich
die Parteispitze dafür, mehr Fragen offen zu lassen, als zu beantworten.
Eine eindeutige Tendenz lässt sich noch nicht erkennen. Nur eines
scheint nach Berlin sicher. Die Machtverhältnisse haben sich verschoben
und sorgen für noch mehr Unklarheiten. Es zeichnet sich ein
Kopf-an-Kopf-Rennen dreier Männer ab. Drei Männer einer Partei und doch
völlig verschieden.
Es war genau 11:24 am
Montagvormittag als Sigmar Gabriel das Rednerpult verlässt. Mit
aufgeladener Stimme schwört er seine Partei nochmal auf den
Politikwechsel 2013 ein. Die Richtung hat er in den vorangegangenen
eineinhalb Stunden vorgegeben. Eine deutlich links orientierte Mitte
soll es sein. Seine Rede beeindruckte die Zuhörer. Zum einen durch ihre
Pointiertheit, aber auch durch ihr intellektuell überschaubares Niveau,
das die Delegierten zu keinem Zeitpunkt überforderte. Er brachte auf den
Punkt, was der Parteibasis seit Jahren auf der Seele brennt. Da wurde
die Agenda 2010 gegeißelt, der Schulterschluss mit den Gewerkschaften
gesucht. Er schimpfte auf entfesselte Märkte und betonte den Wert der
Arbeit. Er bezeichnete seine Partei als wahrhaft in der liberalen
Tradition verhaftet und zeichnete die Zukunft "Mitte-Links". Gabriel
kennt alle Facetten des politischen Geschäfts. Seine auf Klassenkampf
zugespitzte Rede sollte die Partei hinter ihm vereinen. Denn in Zeiten
sozialer Kälte und entfesseltem Kapitalismus, besinnt sich die
Sozialdemokratie gerne auf ihre linken Wurzeln. Gabriel, der geniale
Opportunist wusste, was die Stunde geschlagen hatte und startete seine
Aufholjagd. Wurden ihm vor dem Parteitag noch die schlechtesten Karten
eingeräumt, so liegt er nun gleichauf mit seinen Konkurrenten. Manch ein
Beobachter sieht ihn nun sogar als Favoriten.
Der Chef und
seine Gefolgsmänner einig auf dem Weg zur Oase sozialdemokratischer Glückseligkeit. Ein rundum gelungenes Wochenende für den Parteichef.
Doch einen entscheidenden Punkt scheinen sowohl er, als auch die
Delegierten übersehen zu haben. Ihr Kurs führt geradeaus in ein dicht
besiedeltes Kampfgebiet, in welchem sie die Schlacht um Wählerstimmen
nur verlieren können. Ein Hartz IV-Empfänger beispielsweise, der sich
nach dem Maximum sozialer Wärme sehnt, macht sein Kreuz bei der Linken.
Das neue linke, umweltbewusste Bürgertum besinnt sich auf das Original
und wählt grün. Technikaffine, die sich trotzdem politisch engagieren
wollen, gehen zu den Piraten. Das Spektrum links der SPD ist so dicht
besiedelt, dass sich die Stimmenfänger auf diesem Terrain gegenseitig
auf den Füßen stehen. Wie ratsam wäre es da, seinen Fokus zu verändern
und sich auf Wählerschichten außerhalb der SPD zu konzentrieren. Der
Grundsatz, Wahlen werden in der Mitte entschieden, besitzt nach wie vor
Gültigkeit. Ein Mann der diese Positionen besetzt, in der SPD
vermarktbar ist und auch im konservativen Lager Stimmen abfangen kann,
wäre der ideale Kandidat für die Sozialdemokraten. Die Ironie an dieser
Sache ist, die Partei verfügt über einen Spitzenpolitiker, der genau
diese Anziehungskräfte vereint. Er ist aktuell Deutschlands beliebtester
Politiker und scheint prädestiniert 2013 gegen Angela Merkel
anzutreten.
Und doch ist Peer Steinbrück in der eigenen Partei
weder geliebt, noch der Wunschkandidat des Großteils der Delegierten.
Deutlich zu spüren war dies bei seiner Rede auf dem Parteitag. Während
sich Gabriels Worte an Herz und Seele richteten, appellierte Steinbrück
laut eigener Aussage an den Verstand der Partei. Die Reaktionen auf
seine Worte waren, euphorisch ausgedrückt, reserviert, knapp über der
Höflichkeitsgrenze. Mahnungen, Besserverdienende nicht zu verprellen und
den Erfolg der Agenda 2010 deutlich für sich zu beanspruchen, stoßen
aktuell auf taube Ohren in der Partei. Steinbrück, dem
erfolgversprechendsten Kandidaten der Sozialdemokraten, mangelt es an
Rückhalt im eigenen Lager. Als Bremsklotz der linken Neuausrichtung,
passt er so gar nicht in das Konzept, welches sich die SPD für die
Zukunft selbst verordnet hat. Dabei genießt er in der Bevölkerung einen
ungemeinen Zuspruch, obwohl er momentan nur ein einfaches
Bundestagsmandat vorzuweisen hat. Insbesondere im finanzpolitischen
Bereich wird ihm ein
besonderes Maß an Kompetenz zugesprochen. Eine Resort das aktuell so wichtig ist wie nie zuvor. Das kommt an beim Wähler, bei
der Basis offensichtlich nicht. Wer mag es den Genossen verdenken,
stellt sich ein Mann doch offensichtlich gegen die Traditionen der
Partei, auf die man sich wieder besinnen will.
Wahr ist, die
konservative Linie Steinbrücks kann auf eine lange Geschichte verweisen
und ist keineswegs so parteiuntypisch, wie sie medial, oder von einigen
Parteilinken häufig dargestellt wird. Bereits zur Zeit des ersten
Weltkriegs gab es mit der "Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe" eine
nationalistische Strömung, bestehend aus ehemaligen Linken. In ihrer
Tradition entwickelte sich in den 1950er Jahren ein
konservativ-traditionell eingestellter Verbund, der sich am rechten
Flügel organisierte und eine dominierende Rolle innerhalb der Partei
einnahm. In diesem Zusammenhang kann auch auf den sich parallel
entwickelnden "Metzger-Kreis" verwiesen werden, der als Vorläufer des
heutigen "Seeheimer Kreis" gilt, dem auch Steinbrück nahesteht. Dieser
etablierte sich als Reaktion auf die Linkswende der Jusos Anfang der
1970er Jahre und gilt seither als eigenständige Strömung innerhalb der
SPD. Trotz einiger prominenter Vertreter wie Helmut Schmidt, hatte der
Seeheimer Kreis traditionell einen schweren Stand im Ringen um
Positionen mit den Parteilinken.
Es ist folglich kein neuer
Kurs den der ehemalige Finanzminister verkörpert, vielmehr vertritt eine
traditionelle, konservative Richtung der deutschen Sozialdemokratie,
die bereits ehrenwerte Staatsmänner hervorgebracht hat.
Mit
Helmut Schmidt ist ein weiterer Name gefallen, welcher für eine
Kandidatur Steinbrücks spricht. Die Menschen in Deutschland verknüpfen
mit einer konservativen SPD positive Erinnerungen und politische
Erfolge. Hieraus speist sich die unglaublich Popularität des
Altkanzlers, der sich bereits ausdrücklich für Peer Steinbrück
ausgesprochen hat. Es mangelt einem an Fantasie, um sich eine
Entwicklung vorzustellen, die den knorrigen Hanseaten tatsächlich in die
Rolle des Herausforderers der Union bringen könnte. Einzig weiter
steigende Beliebtheitswerte könnten die Sozialdemokraten dazu bewegen,
einen wie ihn mitzutragen. Diese Hoffnung wird durch einen weiteren Fakt gestärkt.
Sigmar Gabriel, der brillante Rhetoriker, ist schlichtweg
zu unbeliebt im Volk, um die Wahl siegreich zu bestreiten. Der oft als Populist verschriene Niedersachse schafft es nicht, seine Austrahlung auch außerhalb der Partei zu entfalten. Alle Anzeichen lassen auf eine Kompromissentscheidung schließen. Diese trägt den Namen
Frank-Walter Steinmeier. Er vereint in gewisser Weise beide Parteiströmungen
und ist deshalb für beide Seiten annehmbar. Da er jedoch mit dem historischen
Absturz der Partei in direktem Zusammenhang steht, wird manchem Genossen
sicherlich unwohl bei diesem Gedanken werden.
Ihnen
möchte man als Bürger zusammen mit Helmut Schmidt zurufen: "er kann es",
und der Partei den nötigen Mut wünschen, sich dem allgegenwärtigen
Linksrutsch der deutschen Politik zu widersetzen und mit der Kandidatur
Steinbrücks nicht nur politische Klugheit zu beweisen, sondern auch der
Meinung des Volkes zu vertrauen.
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